top of page
Suche
AutorenbildMatze

Ich, der Schamane!

Aktualisiert: 8. Feb. 2023



Um gleich mal allen Skeptikern den Wind aus den Segeln zu nehmen: Ich glaube das Wort Schamane ist in seiner Bedeutung (zumindest in unserer europäischen Kultur), vollständig ausgehöhlt, verwaschen und entleert worden. In diesem Sinne, bin ich natürlich auch kein Schamane. Vor diesem Hintergrund möchte ich hier mal einen kleinen Beitrag zum Thema verfassen, und freue mich auf Kommentare, Diskussionen oder einfach ein paar interessierte Leser.


Also, Hallo zusammen!


Natürlich ist mein gewählter Titel provokant. Das hat aber auch den Grund, dass ich mit diesem Thema häufig konfrontiert werde: Zum einen, weil ich eine schamanische Ausbildung genießen durfte, und zum anderen, weil wir gewisse Dinge tun, die gemeinhin als schamanische Praktik bezeichnet werden.


Was ist überhaupt ein Schamane, und was sind schamanische Techniken? Warum hat das ganze Schamanentum so einen enormen Aufwind bekommen, und ist momentan sogar eine neumodische Bewegung?


Ich fange mal vorne an: Das Wort Schamane kommt wohl aus dem Sibirischen. Bei den Ewenken und anderen Völkern des Nordens gibt es Schamanen. Oder gab es. Je nach Leseart. Die Forschung und selbst die Menschen untereinander sind sich da nicht einig. Das Wort selbst könnte seinen Ursprung in den Sprachen des Nordens haben, aber auch wie so häufig im Sanskrit. Es wird wohl in jedem Fall etwas in der Richtung der der Weiß oder der der bewegt, der der die Seele beflügelt oder ähnliches bedeuten. Hierzu gibt es genügend Literatur zum Nachlesen, und ich betreibe mit Sicherheit keine wissenschaftliche Analyse. Ich möchte lediglich darauf hinweisen, dass schon der Begriff in seinem Ursprung schwer zu fassen ist.


Dazu kommt die nicht normative Bezeichnung verschiedener Menschen in diesem Feld. Jedes individuelle Verständnis ist extrem unterschiedlich, und bedient sich einem unbewussten und bewusst gewählten Kontext verschiedenster Traditionen, Erfahrungen und Eigeninterpretationen. Dies erschwert die Eingrenzung eines Arbeitsfeldes ungemein. Die einen verstehen unter einem Schamanen eine Art Priester. Die anderen verstehen darunter jemanden, der durch Substanzen sein Bewusstsein verändert, und mit Wesen aus anderen Ebenen Kontakt aufnimmt. Wieder andere sehen den Schamanen als eine Art Arzt, der mit natürlichen Mitteln ganzheitlich und feinstofflich arbeitet. Manche verwenden Synonyme wie Geisterbeschwörer, Lügner, Scharlatan, Kulturräuber, Plastikschamane, aber auch Kellerschamane, Heiler, Spiritueller Führer, Sänger, Zeremonienmeister und und und...


Meines Erachtens kommt die Verwirrung daher, dass gerade in Europa (und dem weißen Amerika) ein so tiefgreifender Kulturmord, und eine so tiefe Entwurzelung stattgefunden hat, dass wir uns einfach nach einer Verbindung in die Mystische Welt sehnen. Wir sehnen uns nach Übernatürlichem, denn wir brauchen das Übernatürliche in einer Welt in der wir so sehr vom Wesen der Dinge, von der beseelten Natur, von der Märchenhaften Wirklichkeit getrennt leben. Die Welt ist ein Mysterium. Und wir können bedeutend mehr nicht erklären, als wir erklären können.

Der Begriff Core Schamanismus versucht eine Brücke zu schlagen, die alle natürlichen Heil- und spirituellen Traditionen in einem Kern vereint. Michael Harner hat diesen Begriff geprägt, und ich denke hier liegt auch der Ursprung für die derzeitig globale Anwendung des Begriffs. Es ist allerdings schwer, all die verschiedenen Spektren wirklich zusammenfassen zu können. Er behauptet beispielsweise, dass die Verwendung von Substanzen in der globalen „Schamanischen Tätigkeit“ eher eine Nebenrolle spielt, und im Kern die Trommel steht. Christian Rätsch im Gegenzug schreibt in seiner viel gelesenen und gefeierten Enzyklopädie, dass der Schamane im Grunde ein Spezialist der bewusstseinsverändernden Pflanzen ist. Wer hat Recht?


In meiner eigenen Weltanschauung haben beide Recht. Denn ich bin davon überzeugt, dass jede individuell wahrgenommene Wirklichkeit eine unbedingte Realität darstellt. Dies macht aber den Umgang mit dem Begriff und den praktizierenden Menschen nicht einfacher. In der südamerikanischen Heilkultur gibt es Spezialisten. Das heißt, man sagt eigentlich nicht Schamane, sondern zum Beispiel Ayahuasquero oder Tabaquero. Also jemand, der mit Ayahausca arbeitet, oder jemand der mit Tabak arbeitet. Da gibt es viele Spezialisierungen und natürlich auch Vermischungen, aber die Richtung wird deutlich. Bei uns gab es schon immer die Kräuterhexen, Frauen die auf Kräuterwissen und Heilung spezialisiert sind. Seelsorger ist ein wunderschönes Wort. Es beschreibt Menschen, die sich um die Seelen kümmern. Der Seelsorger hört dir zu und ist für dich da. Findet Wege mit dir. Heutzutage versteht man darunter in der Regel christliche Pfarrer. Ich fände es schön, wenn der Begriff wieder erweitert wird und auch Eingang in den schamanischen Kontext findet.


Es ist also augenscheinlich an der Zeit neue Wörter zu finden. Neue Wörter für Menschen, die im weitesten Sinne in diesem Feld tätig sind. Und zwar je nach Arbeitsweise. Die spirituellen Weltanschauungen und Glaubensrichtungen erleben gerade eine enorme Wandlung. Das etablierte gesellschaftliche Glaubensmuster der Europäer löst sich auf. Traditionen verschwinden und neue entstehen. Hierzu kann ich nur empfehlen Wolf Dieter Storl zu lesen. Er begeistert und inspiriert mich immer wieder. Wobei auch bei ihm immer wieder Widersprüche erscheinen, die wahrscheinlich mit der unvermeidbaren Ungenauigkeit des kollektiven Verständnisses der Begriffe einhergehen.


Die nächste Problematik am Begriff selbst ist natürlich die Kulturen plattwalzende Natur einer Verallgemeinerung. Bestes Beispiel: Lakota Schwitzhütten. Sie werden häufig angeboten und sehr häufig von Europäern, die weder initiiert sind noch Lakota. Damit wird einer kolonialisierten Kultur weiter Unrecht getan. Es ist aber nicht so, dass nur die Lakota Schwitzhütten hatten. Die Gesellschaft sollte also damit aufhören eine Legitimation für diese Art des Zeremoniells zu fordern. Vielleicht würden dann auch weniger Rituale unter falschem Namen stattfinden.


Es gibt genug Belege dafür, dass Schwitzhütten so alt sind, wie die heutigen Menschen selbst. Es gibt überall auf der Erde eigene Schwitzhütten Traditionen. Auch bei uns gab es sie. Und Menschen wie ich, die sich mit dem Thema intensiv beschäftigen, suchen nach unserer eigenen Verbindung. Dies kann nur empirisch sein. Mit viel Respekt und Rücksicht, aber auch Mut. Wir müssen den alten Weg neu beschreiten. Ich denke wir müssen es, weil nur so ein Gleichgewicht wiederhergestellt werden kann. Alles ist Natur. Wenn wir uns nicht als Natur verstehen, werden wir aus der Existenz verschwinden.


Das heißt auch, dass es nicht so sein muss, wie bei manchen Stämmen, dass spirituelle Heilarbeit nur ohne Geld stattfinden darf. Da wird auch wieder Kulturimperialismus betrieben. Ich erlebe es immer wieder: Ja, es gibt Traditionen in denen der Heiler kein Geld für seine Arbeit nehmen darf. Diese Heiler werden allerdings von der Gemeinschaft getragen. Sie werden ernährt. Sie haben es warm, sie haben alles was sie brauchen. In anderen Traditionen ist dies nicht der Fall. Man kann doch einem Heiler aus einer gewissen Tradition nicht zum Vorwurf machen, dass er sich nicht so verhält wie ein Heiler aus einer ganz anderen Tradition? Obendrein, ist es schwierig das gesamte Konzept auf uns Europäer zu übertragen. Wir leben in einer Gesellschaft, die durch und durch vom Geld getrieben und geführt wird. Würden wir hier diese Tradition übernehmen, noch dazu in einem Kontext der diese Art des Heilens, Predigens, Erlebens nicht würdigt; dann würde hier keine neue bzw. eigene schamanische Tradition entstehen können. Oder nur eine Elitäre. Wir müssen also anfangen uns von den Konzepten zu befreien und versuchen die Intention hinter den Dingen zu sehen. Wenn jemand mit guter Absicht handelt, wäre es doch schön sich auf das Gute zu konzentrieren, und nicht das Haar in der Suppe im kulturellen Vergleich zu suchen. Die Welt vermischt sich und eine neue Spiritualität entsteht. Wir können Zeuge sein und das ganze mitgestalten. Umso besser unsere Intentionen sind umso besser wird das Ergebnis. Davon bin ich überzeugt.


Und mit all dem sind wir schon sehr im Thema, warum diese Sehnsucht nach all dem? Naja, wie gesagt: Wir sind die Natur. Nicht über ihr. Nicht neben ihr. Wir sind untrennbar sie, und sie ist wir. Mutter Erde. Wir sind Teil von ihr. Und sie ist Teil von uns. Unsere Seelen wissen das. Nur unsere Köpfe müssen noch folgen und sich erinnern. Und deshalb werden derzeit alle Methoden, die einen wieder näher zur Natur und dem eigenen Selbst bringen, gesucht, gepflegt, ausprobiert und nach und nach etabliert. Es geht nicht darum Leuten Kultur zu klauen oder eigene Kultur in ein hierarchisch kulturelles Konstrukt zu zwängen. Es geht für mich darum in liebevollem Miteinander die Kultur zu gestalten und wachsen zu lassen. Denn das ist die menschliche Kultur: Dynamisches Miteinander. Im Idealfall produktiv.

Und damit komm ich zum letzten Teil meiner Anschauung: Was sind überhaupt schamanische Praktiken?


Natürlich könnte ich hier genauso ausholen, wie bei der Begrifflichkeit an sich. Aber da wiederholt sich sehr viel. Ich fasse mal meine Sicht der Dinge zusammen, die eben auch meine Erfahrungen beinhaltet:


Diese Praktik bezeichnet Methoden, die auf seelischer und körperlicher Ebene, im Einklang mit der Natur, eine (Rück-) Verbindung zur Natur und dem eigentlichen Kern des Selbst fördern und erlangen können. Dabei geben diese Techniken durch die Erfahrung, die man macht, eine Art Hilfe zur Selbsthilfe, und haben zugleich das Ziel wieder eine harmonische Ordnung mit uns im Kreis der Schöpfung herzustellen. Die Grundprinzipien, mit denen dieses Ziel erreicht werden kann, sind zahlreich. Ob es nun der Weg der Meditation, der Schwitzhütten, der Pflanzenwesen, des Gebets oder einer der anderen undenkbar vielen Pfade ist, hängt natürlich extrem stark von der eigenen Persönlichkeit und dem eigenen Wirken ab. Der schamanisch Wirkende übernimmt somit eher eine Funktion des Vermittlers zwischen den Wegen. Das Wirkende kann sich durch die eigene Erfahrung des Hilfesuchenden entfalten, wenn dabei das bekannte Konstrukt verlassen wird. So entsteht ein ekstatischer Moment, der das Potential zur persönlichen Freiheit und den damit verbundenen Entwicklungsmöglichkeiten in sich birgt. Wer so den Weg zu sich selbst findet, kann ganz werden. Kann heil werden. Gesund.


Im Kern steht somit für mich die persönliche Erfahrung. Denn theoretisches Wissen ist kein eigenes erlebtes Wissen und somit aus meiner Sicht leer. Wenn wir unseren Geist befreien, und wirklich niemandem schaden wollen, können diese Ziele von jedem erreicht werden. Und dies ist dann schlussendlich auch der Kern des schamischen Lernens: Du entdeckst deine eigene Art zu wirken.


Und so erklärt sich für mich, dass alle Religionen recht haben - und keine. Dogmatisches leeres Wissen wird bedeutungslos. Erfahrene Spiritualität lebendig. Und dann ist jede religiöse Weltanschauung eine Facette des ungreifbaren Göttlichen. Und wenn wir es schaffen in diesem Sinne zu agieren, kommen wir genau diesem näher, und können auch wieder den Frieden in uns kultivieren. Es gibt nur eine Menschheit. Wir sollten zusammenarbeiten und unsere Andersartigkeit pflegen und voneinander lernen.

Das Herz hat keine Fragen und der Kopf hat keine Antworten.


In diesem Sinne: Danke fürs Lesen und alles Liebe.


Matze















114 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page